Warum Hamburg schon 2035 klimaneutral sein muss

Am 8. Februar sind wir für den Klimaschutz durch Eppendorf und Winterhude gezogen. Mit dabei waren unter anderem unser Umweltsenator, Jens Kerstan (Bildmitte), unser verkehrspolitischer Sprecher, Martin Bill, unsere Wahlkreiskandidatinnen für Eppendorf und Winterhude, Sina Imhof und Andrea Nunne, viele Eisbär*innen und ich, der ich mich als australischer Klimaflüchtling (also als Känguru) verkleidet hatte. Und das ganze bei Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen.

Das Wichtigste in Kürze für eilige Leser und kleine Displays:
  1. Der menschenverursachte Klimawandel nimmt erkennbar krisenhafte Ausmaße an, die selbst die Wissenschaft in dieser Geschwindigkeit nicht erwartet hätte. Wir müssen also schnell und beherzt gegensteuern, um die globale Erwärmung noch auf unter 1,5° Celsius zu begrenzen.
  2. Dies bedeutet "leider", dass wir viele liebgewonnene Gewohnheiten ändern und unsere komplette Wirtschafts- und Lebensweise transformieren müssen – aber diese notwendige Transformation bietet auch enorme Potenziale: Denn wer möchte nicht gerne in einer Welt leben mit sauberer Luft, sauberen Böden, sauberem Wasser und einer gesunden Umwelt?
  3. Der Klimaplan des Hamburger Senats sieht eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, um der Klimakrise zu begegnen – aber sie reichen noch nicht aus bzw. müssen weiter konkretisiert werden, um dem 1,5°C-Ziel bzw. dem Paris Abkommen gerecht zu werden. Und als Bündnis 90/Die Grünen streben wir eine vollständige Klimaneutralität bereits bis zum Jahr 2035 an.
  4. Am 21. Februar findet die nächste Klimademo in Hamburg statt – nehmen Sie teil, denn es geht darum, unseren Kindern und nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu bewahren.
  5. Überlegen Sie sich, ob Sie mich auch direkt wählen wollen - ich bin Kandidat Nr. 42 auf der Landesliste von Bündnis 90/Die Grünen. Übrigens: Keine Stimme geht verloren, denn selbst, wenn ich von den Hamburger*innen kein Mandat erhalte, helfen die Stimmen den Grünen, insgesamt ein gutes Ergebnis zu erzielen :-)

Die Vermeidung des anthropogenen (menschenverursachten) Klimawandels ist richtigerweise, und endlich, ganz oben auf der politischen Tagesordnung angekommen, was nicht zuletzt das Verdienst der hundertausenden demonstrierenden Schüler*innen ist, die weltweit seit über einem Jahr auf die Straßen gehen. Der Klimawandel war einer der Hauptgründe für den Aufschwung grüner Parteien in Deutschland und anderen Ländern bei den zurückliegenden Wahlen zum Europäischen Parlament und laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des NDR werden der Umwelt- und Klimaschutz für 79% der Wähler*innen eine (sehr) wichtige Rolle bei Ihrer Wahlentscheidung spielen. Aber was heißt es konkret, "mehr für den Klimaschutz" zu tun? Wann "reicht" das Engagement und was folgt daraus für Hamburg? Hier mein Blick auf die (klima-) wissenschaftlichen Grundlagen und warum ich meine, dass die offiziellen Klimaziele Hamburgs bei weitem noch nicht ausreichen:

1. Was steht auf dem Spiel?


Es ist eine Sache, sich an poltischen Demonstrationen für eine ambitioniertere Klimapolitik zu beteiligen – und entsprechend bei Wahlen abzustimmen – und eine ganz andere, unsere eigene Lebensweise so zu ändern, wie Klimawissenschaftler sagen, dass es notwendig wäre, um den mittleren globalen Temperaturanstieg auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen (das Ziel des sogenannten "Pariser Abkommens"): Laut dem neuesten Bericht des Weltklimarats, IPCC (siehe Fußnote 1), muss die Welt (also wir alle!) schnell und umfassend aus der Nutzung fossiler Energien aussteigen und so bis 2050 die „Nettonull“ (oder "Klimaneutralität") erreichen – d.h. nicht mehr CO2 emittieren, als auch wieder gebunden wird. Nur so kann die durchschnittliche globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 voraussichtlich auf 1,5°C begrenzt und können damit die potenziell dramatischen Folgen noch höherer Temperaturen verhindert werden (siehe Fußnote 2). Umgerechnet in ein persönliches CO2-Budget bedeutet dies, dass jeder heutige und zukünftige Mensch auf Erden nicht mehr als etwa 1,5t CO2 pro Jahr bis zum Jahr 2050 verursachen darf und es nach 2050 gar keine Netto-CO2-Emissionen mehr geben darf.


Die aktuellen globalen Emissionen (2013) von CO2 und anderen Treibhausgasen (THG), zusammengefasst als CO2-Äquivalente (oder “CO2e”), werden auf mehr als 6t CO2e pro Weltbürger*in geschätzt (siehe Fußnote 3). Dabei streuen die Werte massiv um diesen globalen Durchschnitt, wie einige Beispiele zeigen: Die Bürger Kuwaits emittieren etwa 55t CO2e, die von Luxemburg 21t CO2e, wir Deutschen verursachen etwa 11t CO2e-Emissionen und die Einwohner von Burundi nur 0.3t – immer pro Jahr und Kopf. Im Allgemeinen sind es nur die Länder Afrikas südlich der Sahara, deren Emissionen (pro Kopf und insgesamt) unter dem globalen CO2-Budget bleiben (für Details siehe Wikipedia). Kurzum, es klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was zur Vermeidung eines potenziell katastrophalen Klimawandels (verursacht durch einen Temperaturanstieg von mehr als 1,5°C) notwendig ist – d.h. Emissionen von nicht mehr als 1,5 t CO2 pro Jahr und Kopf zwischen heute und 2050 – und dem, was wir aktuell als Einzelpersonen (bis zu 55t/Kopf) und als Menschheit insgesamt (mehr als 6t/Kopf im globalen Durchschnitt) emittieren!

2. Also, was (mehr) können, was (mehr) müssen wir tun?


Selbst wenn wir sofort aufhörten, noch irgendetwas zu essen oder zu trinken, Kleidung und andere Dinge zu kaufen (beides natürlich keine wirkliche Option…) und nur noch zu Fuß und mit dem Rad unterwegs wären, würden die durch uns verursachten CO2-Emissionen kaum auf das in naher Zukunft erforderliche Maß sinken. Kohlenstoff bzw. fossile Rohstoffe stecken einfach in so ziemlich allem, was unser „modernes“ Leben ausmacht und alleine können wir die Welt nicht ändern. Was wir jedoch tun können ist, grob gesagt, Zweierlei: 1. Unser eigenes Konsumverhalten wo immer möglich ändern (z.B. mehr ÖPNV und Rad fahren, weniger fliegen, weniger Fleisch und Milchprodukte essen, weniger Plastikmüll produzieren) und 2. wohlinformierte Wahlentscheidungen treffen (und uns auch anderweitig politisch engagieren).


Denn es ist es natürlich keine Option, nun den Kopf in den Sand zu stecken oder unsere Augen zu verschließen – im Gegenteil, wir schulden es unseren Kindern und zukünftigen Generationen, alles Menschenmögliche zu versuchen, um das Ruder dieses fossilen Supertanker namens „moderner, westlicher Lebensstil“ doch noch herumzureißen. Es gibt schlicht und ergreifend keine Alternative!

3. Wie ist vor diesem Hintergrund die aktuelle Klimapolitik Hamburgs zu bewerten?


Hamburg hat seine CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2017 bereits um rund 20% gesenkt, bzw. etwa 0,9% im Jahr. Nun plant der Hamburger Senat, die CO2-Emissionen bis 2030 um insgesamt 55% gegenüber 1990 zu senken (bzw. um weitere 43% gegenüber 2017). Dies entspricht einer jährlichen Reduktion von 4,3% - also fünfmal so viel wie bisher.


Nun könnte man meinen, dieses Zwischenziel und das Ziel, Hamburg bis 2050 komplett klimaneutral zu machen, reichten schon aus, damit Hamburg einen angemessenen Beitrag zum globalen Klimaschutz und zur Einhaltung des 1,5°-Ziels leistet. Leider weit gefehlt, denn es reicht wohl bei weitem nicht aus, wenn Hamburg (und Deutschland und die EU) erst 2050 vollständig klimaneutral sind (also ihre Treibhausgasemissionen auf netto null reduziert haben). Zwar ist dies global betrachtet die Zielvorgabe, doch müssen die „entwickelten“ – und damit reichen – Industrieländer aus drei Gründen schneller voranschreiten, als die Welt als Ganzes:
  1. Unsere historischen Emissionen verpflichten uns in besonderer Weise dazu, unsere Volkswirtschaft und unsere Gesellschaft schneller zu „dekarbonisieren“, also auf einen klimaneutralen Pfad zu bringen, als dies auf globalem Niveau erforderlich ist.
  2. Unser aktuelles Emissionsniveau liegt – wie in Abschnitt 1 dargestellt - weit über dem globalen Durchschnitt und damit noch weiter von der Zielmarke (1,5t CO2 pro Kopf und Jahr bis 2050 bzw. langfristig 0t CO2 pro Kopf und Jahr) entfernt, als in anderen Weltregionen.
  3. Wir haben – anders als viele Entwicklungs- und Schwellenländer – bereits heute die finanziellen und technischen Möglichkeiten, große Teile unserer Energiewirtschaft, unseres Transportsektors und unserer Landwirtschaft klimafreundlich umzubauen. Hier bietet sich die Chance, mit zukunftsträchtigen Lösungen eine Vorreiterrolle einzunehmen, mit gutem Beispiel voranzugehen und uns gleichzeitig Wettbewerbschancen in der „Green Economy“ zu verschaffen.

Kurzum, das derzeitige Ziel des Hamburger Senats, und damit der aktuellen Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen reicht nicht aus, um den Anforderungen des im Paris Abkommen enthaltenen 1,5°-Ziels zu entsprechen. Vielmehr müssen wir noch schneller und energischer umsteuern – eine Politik der kleinen Schritte wird der Klimakrise einfach nicht gerecht. Was wir brauchen, ist eine echte Transformation, also vor allem die Energie-, Wärme-, Verkehrs- und Agrarwende – und zwar so schnell wie irgendwie möglich.


Wird Hamburg dann in 2035 wirklich schon klimaneutral sein, wie wir Grünen es in unserem Zukunftsprogramm anstreben? Vermutlich nicht, denn 2035 ist quasi schon um die Ecke und eine solche Transformation braucht Zeit, politische Mehrheiten und gesellschaftlichen Rückhalt – aber wenn wir es nicht einmal ernsthaft versuchen, wird es auch in 2040 oder 2050 nichts werden mit der klimaneutralen Stadt. Den ernstgemeinten Versuch schulden wir unseren Kindern und nachfolgenden Generationen, um ihnen eine lebenswerte Welt zu bewahren!

4. Klimademo zur Bürgerschaftswahl am 21. Februar


Hierum geht es, wenn am übernächsten Freitag (21. Februar), also zwei Tage vor der Bürgerschaftswahl, hoffentlich sehr viele Menschen Wind und Wetter trotzen und dem Ruf von Fridays for Future folgend an der nächsten Klimademo teilnehmen. Diese findet ab 14 Uhr auf dem Heiligengeistfeld statt und natürlich werden die Grünen und viele andere gesellschaftliche Gruppen mit von der Partie sein – und ich hoffe, auch Sie sind wieder mit dabei. Im September waren wir geschätzte 100.000 Menschen – lassen Sie uns dieses Mal noch mehr sein und ein starkes Signal für den Klimaschutz und gegen die Bremser und Zweifler in unserer Gesellschaft senden!!!

Fußnoten:


Fußnote 1 – CO2-Budget: Laut dem aktuellsten IPCC-Bericht (erschienen im Oktober 2018) bedeutet das 1,5°C-Ziel, dass das verbleibende “CO2-Budget”, also der Gesamtwert der Emissionen, die die Welt noch emittieren darf, um die Klimaerwärmung mit 66%-iger Wahrscheinlichkeit unter 1,5°C zu halten, vermutlich bei nicht viel mehr als 420 Gigatonnen (Gt) CO2 liegt (IPCC 2018, S. 14). Dieses noch verbleibende Budget reduziert sich aktuell um ca. 42-45Gt CO2 pro Jahr (ebenda), was bedeutet, dass es in etwa zehn Jahren vollständig aufgebraucht sein könnte, falls die Welt nicht schnell einen kompletten Kurswechsel hinbekommt! Unter der Annahme einer durchschnittlichen Weltbevölkerung von 8,8 Milliarden zwischen heute und 2050 (wie von den Vereinten Nationen in ihrer neuesten Vorhersage prognostiziert) dürfte jeder heutige und zukünftige Mensch bis 2050 nicht mehr als 1,5t CO2-Emissionen pro Jahr verursachen (sofern jedem Mensch ein gleicher Anteil an diesem CO2-Budget zugeteilt wird, d.h. 48t CO2 insgesamt pro Person), und nach 2050 überhaupt keine Treibhausgase mehr ausstoßen bzw. verursachen.


Fußnote 2 – Der Unterschied zwischen einer Erwärmung von 1,5°C und 2°C: Laut einem vor wenigen Jahren erschienenen Gutachten des Weltklimarats (IPCC 2014, S. 13) macht es einen enormen Unterschied, ob es uns Menschen gelingt, die globale Erwärmung bis 2100 auf 1,5°C zu begrenzen, oder ob der Temperaturanstieg "nur" ein halbes Grad darüber liegt. Im ersten Fall halten sich die die von der Wissenschaft erwarteten negativen Auswirkungen auf uns Menschen und unsere natürliche Umwelt noch in erträglichen Ausmaßen, wohingegen im zweiten Fall deutlich dramatischere Auswirkungen zu befürchten sind. Deshalb hat sich die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaschutzabkommen auf das Ziel einer Begrenzung von möglichst 1,5°C verpflichtet.


Eine globale Perspektive auf Klimarisiken. Klimarisiken, die Anlass zur Sorge geben, sind in der rechten Grafik dargestellt. Das zusätzliche Risiko, welches aus höheren Temperaturen resultiert, wird durch die Farbskala angezeigt. Die Skala auf der rechten Seite zeigt den Temperaturanstieg im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Deutlich sichtbar ist die Zunahme der Klimarisiken bei einem Temperaturanstieg von über 1,5°C [Quelle: Abbildung reproduziert aus IPCC Assessment Report 5, S. 13.]


Fußnote 3 – CO2 vs. CO2e: Es ist anzumerken, dass ich nicht ganz sauber zwischen CO2 und CO2e differenziere, indem ich im Text und den präsentierten Zahlen beide Einheiten ein Stück weit vermische. Für meine bewusst vereinfachten Betrachtungen und Überlegungen ist der Unterschied jedoch nicht erheblich und der zusätzliche Zeitaufwand, um hier 100% chemisch und physikalisch korrekt zu sein, erschien mir nicht gerechtfertigt. Es ist dennoch wichtig zu erwähnen, dass das globale CO2-Budget von 1,5t pro Person und Jahr nicht 100%-ig vergleichbar ist mit den durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Emissionen von 6t CO2e, die ich oben nenne.

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